Montreal 15.55 Uhr Ortszeit, 28.7.2006:
Jetzt bin ich ja ein bisserl unvorbereitet, aber hier steht dieser Computer fuer Last-Minute-Registrierungen im Akkreditierungscenter herum, und der laesst sich sogar zweckentfremden, um Deutschland zu gruessen. Das mache ich hiermit. Guten Flug gehabt, aber noch nichts gesehen von der Stadt oder den Outgames.. Gerade die Startliste in die Finger bekommen, aber noch nicht durchgesehen. Ich melde mich dann nochmal. 🙂
Montreal 10.22 Uhr Ortszeit, 29.7.2006:
Die Sonne ist nun auch angekommen ueber Quebec, und wir gehen einer klimatisch heissen Eroeffnungszeremonie entgegen. Bis jetzt ist die Begeisterung irgendwie nicht die groesste; alle sind hier ziemlich cool und gelassen. Das Rainbow Village ist nicht der Rede wert, Atmosphaere hat dort nur der Holland Garden, der Rest besteht vor allem aus Kommerzbuden. Und ein Koenigreich fuer einen Supermarkt mit bezahlbaren Preisen! Wir suchen noch…
Der Blick in die bei der Akkreditierung ausgegebenen Startlisten verheisst auch nicht so viel Gutes: Wie erwartet glaenzen die US-Amerikaner groesstenteils mit Abwesenheit. Die Startfelder sind insgesamt nicht sehr gross (so werden wohl bei allen Seniorenturnieren Maenner und Frauen zusammengelegt), und wenn ich mir den Aufbau des Infoheftes mit Zeitplan und Startlisten der einzelnen Klassen (!) so angucke, scheint man eher beilaeufig Sichtungsrunden abhalten zu wollen als wirklich die Absicht zu verfolgen, eine aktuelle Klasseneinteilung herbeizufuehren. Was dann wirklich lustig werden kann…
Wir warten einfach mal ab. Heute Nachmittag trifft sich Team Berlin auf einen Sekt und begibt sich gemeinsam zum Olympiastadion. Morgen ist fuer Taenzer noch Sightseeing oder Training angesagt , und am Montag geht es dann los fuer die Paare, die zusammen aelter sind als 80 Jahre.
Montreal 11.22 Uhr Ortszeit, 30.7.2006:
Wie viele Deutsche sind eigentlich so ueber die Jahre nach Kanada ausgewandert? Es muessen verdammt viele sein, denn es begegnen einem hier staendig „deutsche Tugenden“, die bei uns auf der Roten Liste aussterbender Verhaltensweisen stehen. Ueberhaupt gebiert sich Montreal sehr europaeisch, dabei allerdings trotz der sprachlichen Affinitaet kaum franzoesisch. Mich persoenlich erinnert die Stadt in vielem sehr an Manchester. Was nicht abfaellig gemeint ist, gehoert Manchester doch durchaus zu den „sproeden Schoenen“ unter den Staedten der Welt.
Die Sonne strahlt mit Macht und Kraft auf Montreal ein, und dennoch merkt man hier stets, dass diese Stadt vor allem auf eines eingestellt ist: Lange und harte Winter. Und es kommt einem ein wenig so vor, als wenn die winter people dieser winter city so recht gar nichts mit dieser Jahreszeit namens Sommer anfangen koennen. Abgesehen davon, ihre Klimaanlagen anzuschalten. Die auslaendischen Besucher stoert das indes wenig. Uns auch nicht. Wir haben auf dem Dach unseres Apartmenthauses die weltschoenste Dachterasse mit Rundumblick auf die gluehende Winterstadt und lassen es uns gut gehen. Es ist der letzte Tag vor Beginn der Tanzwettbewerbe, und wir lassen Seele und Beine baumeln. Letzteres aus gutem Grund. Haben wir doch eine anstrengende und aufregende Eroeffnungszeremonie hinter uns.
Nach einem Glaeschen Sekt im Teamhotel hat sich Team Berlin gestern Nachmittag als lange blau-weiss-orangene Schlange auf den Weg zum Olympiastadion begeben. Dort gab einen einen kaum 10min waehrenden, aber umso heftigeren Wolkenbruch, der zum ersten Mal einen Hauch von Chaos in die Outgames gebracht hat. Nachdem die Aufstellungsordnung wiederhergestellt worden war, begann Team Berlin unter der hochqualifizierten [ ;-)] Anleitung von pinkballroom, eine kleine Einmarschchoerographie zu erarbeiten. Denn einfach in ein Stadion rennen kann ja jeder…. 🙂
Wie heisst es doch so schoen? „Die letzten werden die ersten sein“? Die deutscen Teams hatten das Glueck, dass fast saemtliche Laender an ihnen vorbeidefilierten, um sich an ihren zugewiesenen Stadioneingang zu begeben. Nach diesem Nationeneinmarsch hinter den Kulissen wurden sie dann an ihr persoenliches Rolltor gefuehrt, das sich doch tatsaechlich um 19.33 Uhr puenktlich zum angesetzten Beginn der Zeremonie oeffnete (vgl. Kapitel „Deutsche Tugenden in Kanada“). Nur das erstaunlich grosse Team Saarland vor der Nase habend, betrat Team Berlin taenzelnd, winkend und fahnetragend den Innenraum des im Unterring sehr gut gefuellten Olympiastadions. Dort drehten wir ein paar Schlaufen und kaman dann direkt vor der Showbuehne zum Halt.
Parallel dazu wurden auch drei weitere Tore geoeffnet, soll heissen, dass der Einmarsch der Teilnehmer sehr zuegig und massiv ablief. Das hatte natuerlich Vor- und Nachteile: Die Wartezeit vor dem Stadion hielt sich fuer Teilnehmer in Grenzen, und fuer Zuschauer war es sicherlich spektakulaer mitanzusehen, wie Teilnehmer aus 109 Laendern aus allen Ecken gleichzeitig in das Stadion stroemten. Andererseits war es so unmoeglich, jedes Team einzeln anzusagen, und weil die Teilnehmer ihre Runden jeweils in ihrer Ecke des Stadions drehten, sah man kaum Teilnehmer, die durch andere Eingaenge kamen. Da war es dann im Nachhinein wirklich gut, dass wir die anderen Laender schon vor dem Stadion an uns vorbeilaufen hatten sehen koennen. Und dann fragte ich mich die ganze Zeit, ob es Zufall, Glueck, Gnade oder vielleicht doch ein bisschen Politik war, dass auf den besten Plaetzen direkt an der Buehne die Teams aus Deutschland, Grossbritannien und den Niederlanden platziert worden waren, allesamt Unterstuetzernationen der Outgames. Weit und breit keine US-Amerikaner zu sehen…
Die Durchfuehrung der Eroeffnungszeremonie war vor allem teilnehmer- und fernsehgerecht. Weniger Massenspektakel als in Sydney 2002 und weniger grossangelegte Stimmungsmalerei, dafuer mehr Entertainment, Zauber und ein gutes Stueck Aventgarde. Wer nah dran war, hatte sehr viel davon, wer weit weg stand oder sass, war auf die beiden Videoleinwaende angewiesen. Wir standen (und standen und standen) ja wie gesagt in der ersten Reihe und waren sehr angetan! Der Anteil der Begruessungen und Ansprachen war angemessen und nicht ausufernd. Der Co-Praesident des Orga-Komiteess und Olympiasiger Mark Tewksberry war ausser sich vor kindlicher Begeisterung, und der die Outgames eroeffnenede Buergermeister von Montreal, Gerald Tremblay, wurde sehr freundlich begruesst. Ratlosigkeit dann in den europaeischen Gesichtern, als ein gewaltiger Buhorkan im Stadion aufbrandete, just als ein Mitglied der kanadischen Bundesregierung das Wort erhob. Hierbei handelte es sich offensichtlich um jenen Mann, der die in Kanada eingefuehrte gleichgeschlechtlcihe Ehe wieder rueckgaengig machen will. Wenn dem so ist, fragt man sich natuerlich, warum er dann bei der Outgames-Eroeffnung ueberhaupt dabei ist. Aber man muss als auslaendischer Gast auch nicht alles verstehen….
Der Showteil der Eroeffnung war rundum sehr professionell. Den Rahmen schufen dazu die Darsteller des Cirque du Soleil mit stilisierten Inszenierungen verschiedener Sportarten und eindrucksvollen artistischen Einlagen. Von den Gesangssolisten gefielen mir eine unglaublich coole und souveraene (dabei aber unsaeglich gekleidete) K.D. Lang sowie Diane Dufrasne am besten, deren Habitus man am treffendsten schlicht als „abgedereht“ bezeichnen kann. Das war beide ganz grosses Theater. Totalausfaelle gab es nicht, nur ein Rocker namens Jonas kam nicht so recht an beim schwullesbischen Volk. Nach gut drei Stunden war allles vorbei, und wir zwaengten uns mit plattgestandenen Fuessen in die U-Bahn Richtung Zentrum. Die 1. World Outgames sind also eroeffnet! Wir haben nach einem etwas droegen Auftakt den Geist der Spiele erhascht und brennen darauf, ab morgen ins Geschehen eingreifen zu koennen.
Am Rande der Eroeffnungsfeier traf sich gestern natuerlich auch Europas Tanzszene zu konspirativen Klatsch- und Tratschsitzungen. Vor allem die wenigen Teilnehmer der Gay Games von Chicago von vor zwei Wochen waren dicht umlagert. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzaehlt werden…
P.S.: Endlich einen schoenen Supermarkt gefunden! *sehrerleichtertsei*
Montreal 17.28 Uhr Ortszeit, 30.7.2006:
Wir kommen gerade vom Training zurueck. In einer Tanzschule ohne Klimaanlage, mit niedriger Decke und auf kleiner Flaeche draengelten sich all jene, die es nicht aushalten konnten bis zum ersten Turnier morgen. Und da war sie dann nach vierjaehriger Pause wieder, die ganze grosse, bunte Welt des gleichgeschlechtlichen Tanzens. Europaeer begaffen Amerikaner, Amerikaner observieren Australier und Australier bestauenen Europaeer. Nun, Training ist nicht Turnier, aber man darf nach dem Eindruck von heute auch fuer Montreal 2006 davon ausgehen, dass uns einiges seltsam vorkommen werden wird; ganz so wie einst in Sydney 2002. Wir sind gespannt.
Montreal 23.55 Uhr Ortszeit, 31.7.2006:
Tag 1 der Tanzwettbewerbe
Programm: Senioren Standard & Senioren Latein
Um 10 Uhr morgens begannen heute puenktlich die ersten Tanzturniere der Outgames. Um 20 Uhr waren sie dann ausgesprochen unpuenktlich zu Ende. Es war einer dieser typischen ersten Tage von Grossturnieren, an denen es noch nicht so recht flutscht. Da wir aber vor einem Jahr erleben mussten, wie das ist, wenn so ein Tag wirklich komplett in die Hose geht, darf man sagen , dass Montreal das gut geregelt bekommen hat heute. Gut, die Tanzflaeche war zunaechst sauglatt (nach einmal feucht aufwischen dann nur noch ziemlich glatt), niemand verstand, warum die Teilnehmer vor dem General Look der Standardsektion alle in einen engen stickigen Gang gesteckt wurden, die Klasseneinteilung wurde nicht immer korrekt verkuendet, Aushaenge waren so gut wie nicht vorhanden und die Musik war fuer die unteren Klassen zum Teil sehr schwierig. Und es gab zwischendurch immer wieder sehr viel Leerlauf, weil Ausrechnungen ewig gedauert haben. Und dennoch: das war schon ganz in Ordnung vom Ablauf her. Immerhin wurde kontrolliert, wer wann auf der Flaeche stand und es gibt berechtigte Hoffnung, dass wir nicht nur komplette Ergebnisse bekommen, sondern diese auch noch korrekt sind. Morgen wird es schneller gehen; da bin ich mir ziemlich sicher.
Und nun zum Sport:
Bei den Outgames hat im Tanzen ein Paar die Berechtigung, bei den Senioren mitzutanzen , wenn das Alter der beiden Partner zusammen mindestens 80 Jahre betraegt. Anders als vor 4 Jahren in Sydney kamen deshalb Startfelder von ansehnlicher Groesse zusammen. Abraeumer des Tages waren eindeutig die Briten. 5 Goldmedaillen gingen auf die Insel, darunter alle vier in Latein. Die weiteren drei gingen nach Luxemburg, in die USA und in die Niederlande. Nur drei der 24 Medaillen in der Seniorenkategorie gingen nach Deutschland, die allerdings allesamt nach Berlin. Sabine Wortmann und Corry Finne holten mit Silber in der C-Klasse Standard die erste Medaille fuer pinkballroom bei den Outgames. Alle anderen pinkballroom-Paare fanden sich nach der Sichtung der insgesamt 53 Paare in der A-Klasse wieder. An dieser Stelle muss erwaehnt werden, dass die Seniorenturniere nicht nach Maennern und Frauen getrennt ausgetragen wurden. Eine Entscheidung, die fuer die Lateinsektion nachvollziehbar war angesichts von vielleicht gerade mal 10 Maennerpaaren. In Standard allerdings haetten Menge und Verteilung der Paare problemlos auch getrennte Turniere moeglich gemacht. Leidtragende waren in erster Linie die Frauenpaare der oberen Klassen , die in diesem nun gemischten Turnier vielfach kein Land gesehen haben gegen die Maenner. Doch zurueck zum Turnier: Nach der Hoffnungsrunde der 12-paarigen A-Klasse mussten sich sowohl Juergen Beier/Stefan Conradi als auch Kerstin Huebner/Andrea Schlinkert verabschieden. Genaue Plaetze liegen noch nicht vor. Bestes pinkballroom-Paar des Turniers war der Verfasser dieser Zeilen mit seinem Tanzpartner (also Thorsten Reulen/Rainer Dietzel; beide uberaus ueberrascht von ihrem Platz 4), damit allerdings nicht bestes Berliner Paar, denn Claus Koggel/Gerd Theerkorn von Walzerlinksgestrickt holten die Bronzemedaille. Gold ging wie schon bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften im Mai in Koeln an Jean-Marie Cuelenaere/Frank Morche aus Luxemburg, Silber an das einzige Frauenpaar im A-Finale, Beth Nyman/Noela Ferch aus Australien. Deren Platzierung wurde vielfach mit Erstaunen aufgenommen. Moeglicherweise eine kleine Konzessionsentscheidung ….
Den Stellenwert, den der Bereich Senioren Latein in Deutschland geniesst, machte sich nicht nur auf , sondern auch neben dem Parkett bemerkbar. Von den 45 Paaren, die am Start waren, kamen ganze fuenf aus Deutschland. Und waehrend sich die Englaender in einen wahren Medaillenrausch tanzten, verliessen gelangweilte deutsche Zuschauer in Scharen den Saal. Und verpassten so drei deutsche Paare im A-Finale ( D.Lange/I.Petersen auf 5, B.Flaschmann/U.Faulstich auf 4) sowie pinkballrooms zweite Medaille durch Rainer Dietzel/Thomas Bensch. Gold ging hier an die Favoriten George Tzoulas/Michael Hall aus London, Silber wiederum an die australischen Frauen. Das zweite pinkballroom-Paar, Huebner/Schlinkert, erreichte ebenfalls die A-Klasse, dort aber nicht das Finale der besten 6.
Insgesamt war das Niveau des Standardturniers hoeher, was neben dem grossen Verzug im Zeitplan auch Grund dafuer gewesen sein mag, dass die Zahl der an sich schon nicht gar so vielen Zuschauer waehrend der Lateinturniere stetig abnahm, nicht nur in den deutschen Ecken. Schade natuerlich fuer die Paare auf der Flaeche! Moege es morgen anders werden, wenn nach den sicher hoechst ansehnlichen Standardturnieren der Frauen noch die 10-Taenze-Turniere fuer beide Geschlechter abgehalten werden. Fuer Allrounderinnen sind also morgen Substanz und Kondition gefragt. Warum man den Zeitplan so seltsam kreieren musste, wissen wir uebrigens auch nicht…
Senioren Standard
A-Klasse (12 Paare): 1. Cuelanaere/Morche (LUX); 2. Nyman/Ferch (AUS); 3. Koggel/Theerkorn (Berlin,GER); 4. Reulen/Dietzel (Berlin,GER); 5. v.Buitenen/Notenboom (NED); 6. Stark/Diener (Lorsch;GER). Nicht im Finale: Beier/Conradi (9.), Huebner/Schlinkert (12.;beide Berlin, GER), Flaschmann/Faulstich (Hannover,GER;8.), Kazinczy/Wetzel (Bremen,GER;10.), Lange/Petersen (Koeln,GER;11.), Phillips/Balfour (USA;7.)
B-Klasse (13 Paare): 1. Norris/O`Hare (GBR); 2.Bruce/Kerr (AUS), 3.Schjoldager/Schjoldager (DEN)
C-Klasse (10 Paare): 1. Furiya/Taylor (USA), 2.Wortmann/Finne (Berlin, GER), Conroy/Wiemers (AUS)
D-Klasse (18 Paare): 1. Gosseling/Mutsaers (NED), 2.Templeton/Snell (GBR), 3.Egthuizen/Kurver (NED)
Senioren Latein:
A-Klasse (11 Paare): 1. Hall/Tzoulas (GBR); 2. Nyman/Ferch (AUS); 3. Dietzel/Bensch (Berlin, GER); 4. Flaschmann/Faulstich (Hannover, GER); 5.Lange/Petersen (Koeln, GER); 6.Conte/Hegglin (SUI); Nicht im Finale: Huebner/Schlinkert (Berlin, GER;8.), Denkena/Schmedding (Duesseldorf,GER;11.), Boog/v.Bodegom (NED;9.), Jensen/Sandwick (DEN;10.), Leach/Settle (GBR;7.)
B-Klasse (13 Paare): 1.Gladding/Armon (GBR), 2.Norris/O`Hare (GBR), 3.v.Bruggen/Taverne (NED)
C-Klasse (14 Paare): 1. Filby/Green (GBR), 2.Furiya/Taylor (USA), 3.Clark/Roberts (AUS)
D-Klasse (7 Paare): 1. Burke/Kenny (GBR), 2.Auty/Clugston (GBR), 3.Fahmie/Sainten (USA)