Meilensteine des Equality-Tanzsports

Meilensteine des Equality-Tanzsports in Europa, Deutschland und Berlin

Die Geschichte des Equality-Tanzsports ist noch jung: Traditionell war Paartanz gemischtgeschlechtlichen Paaren vorbehalten. Die einzige allgemein akzeptierte Ausnahme auf Tanzveranstaltungen waren Frauenpaare, die aus Männermangel  (z. B. nach den Weltkriegen, oder auf Seniorenveranstaltungen) zusammen tanzten. Seit den 1980er Jahren wurden jedoch vermehrt Tanzabende und -angebote aus der und für die schwul-lesbische Community angeboten. Aus dieser Szene heraus wurden die ersten Equality-Tanzturniere ausgetragen: 1994 wurde in Oldenburg erstmals in Deutschland (vielleicht auch in ganz Europa?) ein Turnier für Equality-Tanzsport veranstaltet. Seit dem ersten Tanzturnier bei den EuroGames 1995 in Frankfurt etabliert sich die Turnierform: Spezifische Trainingsangebote wurden entwickelt und immer mehr Veranstalter bieten jährliche Turniere an. Die ersten Veranstalter waren in der Regel schwul-lesbische Sportvereine, die sich um eine Tanzsparte erweiterten. Der Erfolg dieser Turniere bei TänzerInnen wie ZuschauerInnen führte zu einer großen Breite von Equality-Tanzturnieren – zwischenzeitlich richten auch mehr und mehr gemischtgeschlechtliche Tanzsportvereine Turniere aus. Auch dadurch wurde langsam aus dem eher gesellschaftlichen Event der LGBT-Szene ein mehr und mehr sportlicher Event – mit verschiedenen Konsequenzen.

Die wichtigsten Meilensteine des Equality-Tanzsports geben einen Eindruck zu dieser jungen, doch schon wechselvollen Geschichte.

Meilensteine

1983 Berlin:

Im Nachbarschaftshaus Urbanstraße bieten junge „Nachbarn“ ein erstes „freies“ Tanzangebot in Berlin an:„taktlos“ ist gegründet unter dem Motto „Tanzen entgegen Knigge und fester Rollenverteilung“, dieses ist unausgesprochen auch gleichgeschlechtlichen Paaren offen.

1985 Berlin:

Claudia Neidig bietet den ersten Paartanz-Unterricht ausschließlich für Frauen/Lesben in Berlin an. Nach der Gründung des Vereins Seitenwechsel e.V (einem Frauen/Lesben Sportverein) in 1988 erhält ihr Angebot auch eine offizielle Heimat.

1986 Berlin:

Biggi Garten und Marion Schmidt – in der Anfangsphase zusammen mit Gudrun Geißler – bieten Frauen/Lesben-Tanzkurse in Berlin an, und zwar in der Schokofabrik (einem aus der Hausbesetzung hervorgegangenen Frauenzentrum). Sie selber haben das Tanzen in einer selbstorganisierten Lesbengruppe mit dem Turniertänzer-Ehepaar Kraatz gelernt, „das damals offen war, Frauenpaare in ihre Kunst einzuführen“.

1986 San Francisco/USA:

Die ersten GayGames finden in San Fransisco statt, in 17 Sportarten (noch ohne Tanzsport) treten 1.350 SportlerInnen aus 12 Ländern an – mit nur geringer europäischer Beteiligung.

1988 Berlin:

„taktlos“ reagiert auf die Nachfrage und bietet berlinweit die ersten Tanzkurse für eine neue Zielgruppe an: schwule Männer tanzen ab sofort bei „Mann tanzt“.

1988 Berlin:

Christoph Neumann gründet mit „bebop“ die erste „kommerzielle“ Tanzschule, die sich explizit nicht den DTV-Regeln unterwirft. Gleichgeschlechtliche Paare werden zwar nicht direkt angesprochen, finden hier aber ein Zuhause.

1990 Berlin:

Nachdem Anette Meeuw sich Claudia Neidig anschließt, gründen sie ihre Tanzschule „garçonne“ und knüpfen mit dem Namen bewusst an die Tradition der lesbischen Tanz-Salon-Kultur im Berlin der 20er und 30er Jahre an. Die beiden entwickeln ihren feministisch-lesbischen Lehransatz und vermitteln diesen mit Erfolg in Weiterbildungen für lesbische Tanzlehrerinnen: Zahlreiche neue Angebote für Frauen/Lesben folgen.

1992 Den Haag/Niederlanden:

Erste EuroGames in Den Haag: 300 TeilnehmerInnen aus 5 Ländern in 4 Sportarten (auch diese noch ohne Tanzsport). Seit diesem Jahr finden die Spiele fast jedes Jahr in der Regel in einer andern Stadt in Europa statt (mit Ausnahme der Jahre, in denen die Gay Games oder Outgames stattfinden).

1994 New York/USA:

Bei den Gay Games in New York werden erstmals Tanzturniere ausgetragen: Line Dance und Equality-Two Step – allerdings im Rahmen eines Site-events (unter „Dances & Parties“) und noch nicht als eine der offiziellen 31 Sportarten. Noch ist Equality-Ballroom nicht dabei, bemerkenswert sind jedoch die Teilnehmerzahlen: mit fast 11.000 TeilnehmerInnen aus 40 Ländern sind die Gay Games erstmals teilnehmerstärker als die Olympischen Spiele.

1994 Berlin:

Ele Busch, Mitbegründerin des „taktlos“, gründet ihre eigene Tanzschule: „MAXIXE“, im Laufe der Jahre finden sich hier als TanzlehrerInnen besonders viele TänzerInnen von Equality-Turnieren.

1994 Oldenburg:

Das erste Equality-Tanzturnier in Deutschland wird in Oldenburg ausgerichtet.

1994 Berlin:

Ein sonntäglicher Tanztee mit Schlagermusik und Varieté-Auftritten beim Kreuzberger Kulturveranstalter „SO 36 e.V.“ wird aus der Taufe gehoben. Anfangs gab es noch Kaffee und Kuchen, bald kam eine kostenlose Tanzstunde dazu. Danach gibt es Standard- und Latein-Tanzmusik und später am Abend Disco. Ursprünglich gar nicht als LGBT-Veranstaltung vorgesehen, erobert sich die Szene das „Café Fatal“ im Handumdrehen. Die Leserschaft der „Siegessäule“ kürte das Café Fatal bereits mehrfach als „beliebteste Party“.

1995 Frankfurt am Main:

Auf den Euro Games III in Frankfurt am Main traten 2000 AthletInnen aus 13 Ländern an und es wurde erstmals ein Tanzturnier für Standard und Latein im Rahmen der EuroGames ausgetragen.

1996 Berlin:

Auf den Euro Games IV in Berlin werden Tanzturnieren für alle 10 Tänze sowie „Profi“-Turnieren für Standard und Latein ausgetragen. Tanzturniere sind nunmehr von den Euro Games nicht mehr wegzudenken. Diese Euro Games sind mit 3.400 AthletInnen aus ganz Europa schon halbprofessionell – wie auch die ganz eigenen Regelungen, die Christoph Neumann für das Tanzturnier definiert.

1996 Berlin:

Ulrike Albrecht (ehemals bebop) und Jojakim Balzer gründen ihre Tanzschule im Ballhaus „Walzerlinksgestrickt”. Diese Tanzschule zieht von Anfang an viele gleichgeschlechtliche Paare an.

1997 Berlin:

TänzerInnen in Berlin suchen eine professionelle Trainingsmöglichkeit für die nächsten Gay- und Euro Games, sie treffen bei der Tanzschule „Walzerlinksgestrickt“ auf offene Ohren: in Vorbereitung der Gay Games in Amsterdam wird dort eine regelmäßige Turniergruppe mit dem Trainer Glenn Wright angeboten, der für die Trainings regelmäßig aus London anreist. Auch der Sportverein „Vorspiel“ bietet in dieser Zeit Trainingsmöglichkeiten in einer Schulsporthalle in Prenzlauer Berg an.

1998 Amsterdam/Niederlanden:

In Amsterdam wird erstmals ein Tanzturnier bei den GayGames für Standard und Latein ausgetragen. Das Turnier in einer liebevoll zum Tanzsaal umgestalteten Tennishalle war ein Riesenerfolg! Als besonderes Highlight prangte an der Decke ein riesiger aus dem Opernfundus ausgeborgter und teuer versicherter Kronleuchter und gab dem Saal eine ungemein festliche Atmosphäre.

1998 Berlin:

Kurz nach den Gay Games wird auf Initiative von Dirk Heidemann im DTV-Tanzsportverein btc (Berliner Tanzsportclub) im Wedding ein neues Angebot ausschließlich für gleichgeschlechtliches Turniertanzen unter der Marke „pinkballroom“ ins Leben gerufen. Die TrainerInnen der ersten Stunde sind Dirk (Latein) und Gabriella Davis (Standard).

1999 Berlin:

„pinkballroom“ richtet kurz nach der Gründung gleich die ersten Berlin Open aus. Bereits beim ersten Turnier tanzen Frauen-und Männerpaare getrennt – ein absolutes Novum in der Equality-Tanzsport-Szene.

2005 Berlin:

Die ersten Deutschen Meisterschaften für Frauen- und Männerpaare werden in Berlin von pinkballroom Berlin ausgerichtet.

2007 London/UK:

Mehr als 50 Gründungsmitglieder aus 8 europäischen Ländern haben die erste internationale Dachorganisation für Equality-Tanzsport gegründet: Die European Same-Sex Dance Association (ESSDA) koordiniert seitdem das Turniergeschehen und definiert die Turnierregeln für den Equality-Tanzsport.

2008 München:

Der Deutsche Verband für Equality-Tanzsport (DVET) wird gegründet. Im folgendem Jahr wird die Internationale Offene Deutsche Meisterschaften für Frauen- und Männerpaare in den Standard- und Lateinamerikanischen Tänzen vom DVET koordiniert und die Ausrichtung vergeben. Der Wanderpokal für die jeweiligen 10-Tänze-MeisterInnen wird durch den DVET vergeben.

2009 Berlin:

Auf Initiative des Ballhaus „WalzerLinksGestrickt“ wird das „QueerDanceFestival“ erstmals ausgerichtet. In diesem präsentiert sich die Vielfalt der Berliner gleichgeschlechtlichen/queeren Tanzangebote seitdem jedes Jahr.

2010 Köln:

Das bislang größte Tanzturnier auf europäischem Boden findet im Rahmen der GayGames in Köln mit 520 TeilnehmerInnen statt – obgleich die TeilnehmerInnenzahlen dieser GayGames gegenüber den Vorjahren sinken.

2010 Wetzlar:

Der DVET tritt dem DTV bei – das ist der weltweit erste Beitritt eines gleichgeschlechtlichen Tanzsportverbandes in einen gemischtgeschlechtlichen Tanzsportverband.

2010/2011 Köln:

Caroline Privou & Petra Zimmermann werden nach den GayGames 2010 bei der Kölner Sportlerwahl als „Team des Jahres 2010“ gewählt, und übertrumpfen mit 47% Stimmenanteil berühmte Aspiranten verschiedener Ballsportarten. In der Galaveranstaltung „Kölsche Sportnaach“ am 19. März 2011 wurden die beiden in festlichem Rahmen geehrt.

2011 Düsseldorf:

Erstmals wurde eine Trainer-Lizenz an eine reine Equality-Tänzerin, Barbara Schmitz, vergeben, die nie ein DTV-Turnier getanzt hat (was grundsätzlich die Voraussetzung ist, um eine Trainer-Lizenz zu erhalten). Als Zugangsvoraussetzung für die Schulungsteilnahme wurden Barbaras Erfahrung und Ergebnisse als Equality-Tänzerin akzeptiert.

2011 Rotterdam:

Die ersten offiziellen Titel der Europa-Meister werden auf den EuroGames in Rotterdam durch die ESSDA vergeben. Die Hälfte der Platzierungen in diesem Turnier gingen nach Deutschland, davon 5 nach Berlin.

2012 Berlin:

Den DVET und damit den Equality-Tanzsport vertraten Caroline Privou & Petra Zimmermann (Frauen Standard) und Pascal Herrbach & Gilles Hoxer (Männer Latein) auf der DTV-Gala „100 Jahre Tanzsport in Deutschland“. Im Berliner Admiralspalast wurde das Ereignis mit über 230 Mitwirkenden darunter vielen Welt- und EuropameisterInnen gebührend gefeiert.

2013 Berlin:

15 Jahre nach den ersten Berlin Open richtet pinkballroom bereits das zweite Mal eine Offene Deutsche Meisterschaft in Berlin aus. Das 15. Mal in Folge findet damit ein Equality-Turnier in Berlin statt!

2013 Düsseldorf:

Erstmals wurden bei einem Kombilehrgang des DTV für Trainer und Wertungsrichter Equality-Paare als Demo-Paare eingesetzt, und das gleich sehr prominent bei der Lehrgangs-Eröffnungs-Lecture. Pascal Herrbach & Christian Wenzel sowie Caroline Privou & Petra Zimmermann wurden auf Initiative des DVET eingeladen, zusammen mit zwei DTV-Paaren die Inhalte des Referenten Claus Salberg zu veranschaulichen.

2015 Berlin:

Erstmals wird mit Tania & Ines Dimitrova ein Equality-Tanzpaar offiziell in einen Landeskader aufgenommen, genau genommen in den Standardkader des LTV-Berlin.

2017 Berlin:

pinkballroom organisiert die ESSDA Europameisterschaften zusammen mit dem OTK schwarz-weiß in Berlin. Das 3-tägige Sportereignis wird mit einem umfangreichen Rahmenprogramm ergänzt, z.B. 10-Jahres-Feierlichkeiten für das ESSDA-Jubiläum, Foto-Ausstellung und Queer & Fun-Wettbewerbe.

2019 Berlin:

revue en rose, die Standard-Showtanzgruppe von pinkballroom gewinnt den Berliner Amateursportpreis, nachdem der LTV Berlin die Gruppe nominiert hat und 853 Fansihre Stimme für revue en rose abgegeben haben. Der Preis wird von der Deutschen Olympischen Gesellschaft – Landesverband Berlin und dem Landes Sportbund Berlin ausgelobt.

Zusammengetragen von Kerstin Kallmann mit Unterstützung vieler TänzerInnen. Danke! Gerne nehmen wir Ergänzungen und Anregungen entgegen unter info@pinkballroom.de.