Im Jahre 1998 kamen die Berliner Paare von dem Tanzturnier auf den GayGames in Amsterdam nach Berlin zurück und suchten eine Möglichkeit für ein regelmäßiges Turniertraining in der Stadt. Der DTV-Tanzsportverein btc im Wedding (einem der beiden Vorgängervereine der Abteilung Tanzsport bin der TiB 1848 e.V.) ließ sich nicht zweimal bitten und richtete ein völlig neues Angebot unter der Marke „pinkballroom“ ein – Turniertanzen ausschließlich für gleichgeschlechtliche Paare. Ein absolutes Novum in einem DTV-Verein. pinkballroom wurde in diesem Herbst 20 Jahre alt und das hatten am Freitag, den 19.10.2018 gefeiert.
Bei dem Festakt wollten wir uns nicht nur an Berichten „wie war das doch damals“ erfreuen, sondern auch unseren „heutigen“ Sport feiern. Was bot sich da mehr an, als die Fotoausstellung „Equality-Tanzsport – Momente“ zu diesem Anlass zu zeigen. Die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg Angelika Schöttler, lud sowohl die Ausstellung als auch den Festakt in „ihr“ Rathaus Schöneberg ein, so dass wir in historischem Ambiente unter den bronzenen Augen von Friedrich Ebert feiern konnten. Durch den Festakt geleiteten uns Andrea Schlinkert & Lady Olivia (alias Pascal Herrbach), die nicht nur charmant, sondern als ebenso erfahrene wie erfolgreiche Pinkies selber das ein oder anderen Hintergrundwissen beitragen konnten.
Angelika Schöttler, die selber gerne mal wieder das Tanzbein schwingen würde, begrüßte die gut 100 Menschen, unter denen Pinkies der ersten Stunde, andere langjährige, auch ehemalige und zukünftige Pinkies sowie viele Freund_innen, die uns über viele Jahre begleitet haben, waren. Die Bürgermeisterin, die 2017 vom LSVD zum Respektpreis nominiert war, zeigte sich sehr beeindruckt von der Kraft der Fotos und den Emotionen, die die Fotos, die im ersten Geschoss bis Ende November zu bestaunen sind, auslösen. Sie freut sich jetzt schon über jeden Gang aus ihrem Büro über die Gänge der Ausstellung und wir sind überzeugt, dass spätestens Ende November der nächste Tanzkurs gebucht ist;-)
Als erster Redner konnte Franz Allert (DTV-Ehrenpräsident) über die Unruhe berichten, für die die ersten Equality-Turniere im Tanzsportverband sorgten, als er Präsident des Landestanzsportverbandes (LTV) Berlin war. Als den Wertungsrichter_innen von Vertreter_innen des Deutschen Tanzsportverbandes (DTV) gedroht wurde, ihnen ihre Lizenz zu entziehen, sollten sie Equality-Turniere werten, stellte sich Franz Allert selber an die Fläche der ersten Berlin Open (1999). Mit dem Gewicht seines Amtes sorgte er dafür, dass nicht nur er, sondern auch alle anderen ihre Lizenz behielten. So sieht Unterstützung aus! Auch vier Jahre später, als Boris Ostrowsky & Jens Neumann die EuroGames gewannen und somit innoffizielle Standard-Europameister wurden, sorgte ihr Foto auf dem Titel des Tanzjournals (den offiziellen regionalen Seiten des Tanzsports im Tanzspiegel) noch für große Aufregung in den Mainstream-Tanzkreisen, sogar im vergleichsweise aufgeschlossenen LTV Berlin. Nach Einschätzung von Franz war die Aufnahme des Deutschen Verbandes für Equality-Tanzsport (DVET) im DTV im Jahr 2010 ein wichtiger Schritt für die Akzeptanz unseres Tanzsports.
Thorsten Süfke, der jetzige Präsident des LTV-Berlin, kann keine „Aufreger“ mehr berichten, ist doch der Equality-Tanzsport in Berlin inzwischen so normal geworden, dass er in mehreren Vereinen angeboten wird bzw. Equality-Paare in zahlreichen Vereinen willkommen sind. Auch wurde unter seinem Vorsitz das erste Equality-Paar in den Standard-Kader des LTV Berlin aufgenommen, wie später angemerkt wurde. Thorsten konnte noch berichten, dass die Mitglieder des OTK Schwarz-Weiß, als sie von pinkballroom gefragt wurden, gemeinsam die Europameisterschaften 2017 auszurichten, schon sehr freudig „ja“ sagten, auch wenn in diesem Verein kein gleichgeschlechtliches Paar tanzt. Der Equality-Tanzsport hat aber nach den drei Tagen der EC richtige Fans aus dem Kreise des OTK Schwarz-Weiß dazugewonnen, die von den sportlichen Leistungen und von der positiven Stimmung überwältigt waren.
Jürgen Beier, ist nicht nur Vize-Präsident des LTV-Berlin, sondern auch Pinkie der 1. Stunde. Er konnte von der Aufbruchstimmung in den 90er Jahren berichten, von der Begeisterung, mit der alle Möglichkeiten genutzt wurden, gleichgeschlechtlich zu tanzen – sei es im café fatal oder in den Tanzschulen wie Maxixe und Walzerlinksgestrickt. Und dann kam der Ehrgeiz, auch auf den GayGames und EuroGames eine gute Figur machen zu wollen. Weil Dirk Heidemann und der Verein btc die Zeichen der Zeit erkannt hatten, gibt es pinkballroom. Jürgen berichtet von einer erfolgreichen Integration die Pinkies im Verein. Er wurde, obwohl damals „nur“ pink-tanzend, als Leiter der gesamten Tanzsport-Abteilung gewählt, damit auch von den gemischtgeschlechtlich Tanzenden im Verein – und das nur wenige Jahre nach dem Eklat mit dem Foto. Bald wurde diskutiert, ob die Pinkies geschützte Räume brauchen, oder die wahre Gleichberechtigung nur mit dem Zusammenlegen der Angebote für „Pinkies“ und „die anderen“ zu erreichen ist. Der Verein hat sich für letzteres entschieden, aber die Diskussion geht weiter, betrifft sie doch noch andere Aspekte des Equality-Tanzens. Wir durften auch von Jürgen erfahren, was ihn angeregt hat vor den Berlin Open regelmäßig auf der Leiter zu stehen und den Saal so schön festlich zu gestalten.
Dörte Lange, die Präsidentin des DVET und Gründungsmitglied des entsprechenden Europäischen Verbandes ESSDA, gratuliert pinkballroom zum Jubiläum und weist darauf hin, wie bemerkenswert es ist, dass ein Verein über 20 Jahre ohne Unterbrechung jährlich ein Turnier ausrichtet – das sind bereits 17 Berlin Open, zwei Deutsche Meisterschaften und eine Europameisterschaft. Apropos Deutsche Meisterschaften..… pinkballroom hatte 2005 einfach beschlossen: „Eine Deutsche Meisterschaft muss her!“. Mit anderen Vereinen hatte mensch sich abgestimmt, aber den Deutschen Verband DVET gab es noch gar nicht. Seit diesem Jahr übernahm jedes Jahr ein Verein in Deutschland die Ausrichtung des Wettbewerbes. Erst seit 2009 macht das der DVET. Ideen und Engagement machen laut Dörte die Berlin Open seit langem zu dem wichtigsten Turnier auf deutschen Boden (nach den Deutschen Meisterschaften).
Petra Nowacki, Vorsitzende des Schiedsgerichts des DVET und Bundesvorsitzende der SPDqueer, tanzte selber in einer Formation und wurde jüngste Wertungsrichterin im DTV. Sie knüpfte an den Bericht von Franz Allert an. Auch wenn sich die Geschichten anhören, als wären sie 50 oder gar 70 Jahre her, sind es erst wenige Jahre, in denen wir so etwas ähnliches wie Normalität für queere Menschen erleben dürfen (na ja, in den Städten…). Der Equality-Tanzsport zeigt das „anders-sein“ gegenüber dem gemischtgeschlechtlichen Tanzen besonders deutlich. Und das ist auch gut so – sagt Petra. Sie weist darauf hin, dass Politiker_innen gesellschaftlichen Druck brauchen, genauso wie die Gesellschaft Initiativen von den Politiker_innen erwarten dürfen. Aber nur wenn beides Hand in Hand spielt, kann sich wirklich was verändern. Auch die Ehe für alle ist gerade erst 2 Jahre alt – und sie war wahrlich kein Selbstläufer, sondern das Ergebnis eines jahrzehntelangen Zusammenwirkens von gesellschaftlichen Initiativen und Politiker_innen verschiedener Parteien.
Die Veranstaltung wechselte in das Foyer des Rathauses: Tanzen war angesagt. DJane Andrea Schlinkert legte auf und stimmte mit dem Titelsong aus „Babylon Berlin“ auf den (film-)historischen Ort ein. Die „pink unicorns“ stellten den 1. Showact des Abends mit ihrer Lateinshow “Queen“. Im Mai 2018 wurden die Gruppe unter der Leitung von Gergely Darabos deutsche Meister_innen im Equality-Showtanz. Die tolle Show auf die mitreißende Musik macht immer wieder Spaß und begeisterte das Publikum.
Nach einer kleinen Umziehpause, in der das Publikum tanzen konnte, wurde zum 2. Showact in das Foyer geladen. Aber zunächst ergriff Hans-Jürgen Dietrich, Vizepräsident des DVET, das Wort. Er bat Gabriella-Ann Davis zu sich, um ihr die bronzene Ehrennadel des DVET zu verleihen, weil sie sich „in bemerkenswerter Weise Verdienste um den gleichgeschlechtlichen Tanzsport erworben hat“. Sie hat von der ersten Stunde an das Standardtraining für pinkballroom angeboten, und aus ihrem Training sind zahlreiche Deutsche-, Europa- und Weltmeister_innen hervorgegangen. „Wie kaum jemand anderes hat sie sich den Equality-Tanzsport zu ihrer Herzensangelegenheit gemacht und ihre hervorragenden Fähigkeiten unserem Tanzsport gewidmet. Damit hat sie nicht nur pinkballroom zu einem der größten und erfolgreichsten Equality-Tanzsportverein Deutschlands gemacht, sondern bereits früh einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass die sportliche Qualität inzwischen da angelangt ist, wo sie heute steht.“
Ihr aktueller großer Erfolg ist der Gewinn des Weltmeistertitels 2018 für die Showgruppe „revue en rose“ mit der Show „Queer World“, die sie choreographiert und trainiert hat. Ein toller Erfolg, nach dem die Gruppe bereits 2017 den Europameistertitel geholt hatte. „Queer World“ war der 2. Showact des Abends. Die Tänzer_innen „erzählten“ zahlreiche kleinere Geschichtchen aber auch große Geschichten wie den Brexit und den Klimawandel. Petra Nowacki über die Show: „Als politischer Mensch habe ich die Weltmeistershow ganz unabhängig von den klasse tänzerischen Leistungen auch als Integrationsprojekt par excellence und als ein deutliches Bekenntnis zu Europa empfunden. Das ist echt vorbildlich und ich wünsche mir, dass das – gerade in einer Zeit des aufstrebenden Rechtpopulismus und schwindender Solidarität in der Gesellschaft – viele Menschen sehen.“
Mit dem Ende der Show war der offizielle Teil des Festaktes beendet und es durfte getanzt werden. Um 22 Uhr verabschiedeten die Moderator_innen die Gäste und verwiesen auf die nächsten pinkballroom-Termine: QueerDanceCamp am 14.-16.12.2018, Pink-X-mas-Ball am 15.12.2018 und Berlin Open am 04.05.2019. Wir bedanken uns bei allen, die den schönen Abend möglich gemacht hatten – bei der herzlichen Gastgeberin und ihren Mitarbeiter_innen, bei den Redner_innen, die uns an ihrem Gedächtnis teilhaben ließen, bei den beiden wunderbaren Moderator_innen, bei der DJane mit ihren Händchen für gute Musik, bei den beiden Showgruppen und ihren Trainer_innen, bei den zahlreichen Person, die zum Buffet beigetragen haben, bei drei Personen, die die Getränke gespendet haben, bei der wunderbaren und professionellen Vorbereitungsgruppe, bei den Helfer_innen und bei allen, die kamen.
Text: Kerstin Kallmann
Fotos: Stefan Conradi & Dörte Lange
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