Interview zu den Anfängen des Equality-Tanzsports
Mit:
- Martin Löper, Labor-Arzt
- Andreas Poulakidas, selbstständiger Gastronom
- Andreas Schmitz, Tanzlehrer und Schauspieler
Interview von Kerstin Kallmann & Simone Britz, beide pinkballroom am 08.02.2013 im Restaurant Honigmond, Berlin
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Fotos: Yemisi Ajayi
KERSTIN: Wie kamt Ihr das erste Mal mit Tanzen in Berührung. Also: Wann habt ihr das erste Mal überhaupt getanzt?
ANDREAS S.: Bei mir war das ganz unspektakulär: Mit 16 in einer Tanzschule. Dort hatte ich genau einen Kurs absolviert, und bin dann sofort in einen Tanzsportverein. Im Tanzsportverein habe ich allerdings erst eine Weile rumgedümpelt auf der Suche nach einer Partnerin.
MARTIN: Ich war 14 Jahre…nein 15. Ich wurde von meiner schulischen Nebensitzerin dazu gebracht. War aber dann auch gleich ganz heiß drauf.
ANDREAS P.: Bei mir war es meine Mutter. Wir waren bei einem Tanzturnier um die Ecke im Gemeinschaftshaus. Dann kam die Frage, ob ich es denn nett gefunden hätte. „Das war doch herrlich, wär das denn nicht was für Dich?“Na, dann dachte ich, ich probiere es mal aus. Da war ich war ca. neun Jahre alt.
KERSTIN: Und Ihr habt dann auch Turnier getanzt?
MARTIN: Ja, das erste Turnier mit 16. Nach dem Fortgeschrittenenkurs gleich das Abschlussturnier, und dann ging es weiter mit Turnieren der Juniorenklasse. Und Du schon als Schüler, oder?
ANDREAS P.: Ja, gleich in der Juniorenklasse, und das ging dann weiter bis ich 19 war. Wir haben auch gegeneinander getanzt, Martin und ich.
MARTIN: Ich habe dann noch länger getanzt. Nachdem Andreas (Anmerkung: Poulakidas) und ich 1995 bei den EuroGames in Frankfurt angefangen hatten miteinander zu tanzen, habe ich noch ca anderthalb Jahre mit einer Frau getanzt. Danach habe ich die Tanzpartnerschaft mit ihr aufgegeben.
ANDREAS P.: Ich hatte bereits viel früher mit dem Turniertanzen aufgehört. Ich hatte bestimmt sechs Jahre Pause.
ANDREAS S.: Ich habe nur ca. vier Jahre Turnier getanzt – alle in Nordrhein-Westfalen. Als ich nach Berlin kam, war das dann vorbei. Damals war das noch mit diesen schrecklichen tausend Rüschenröcken. An die hat meine Oma nächtelang Pailletten angenäht. Die Dame griff dann immer in die Mitte so rein, wuschelte den Rock auseinander und dann wurde man im Schoße der Frau verschluckt. Rumms! war Mann weg und in der Frau versunken.
MARTIN: Die Urängste der Männer. …(Lachen)
SIMONE: Für Dich hätte Deine Oma das nicht genäht?
ANDREAS S.: Doch auch, das hätte sie schon gemacht. Ich hatte auch immer schon Kleider, als Kind schon. Fürs Turniertanzen wurde ich dann allerdings in eine Hose gepresst.
SIMONE: Wart Ihr, Andreas und Martin, dann jeweils der erste gleichgeschlechtliche Tanzpartner?
ANDREAS P.: Ja, genau.
SIMONE: Und wie habt Ihr Euch gefunden?
ANDREAS P.: Naja…. Innerhalb dieser „normalen“ Turnierkarriere kannten wir uns nur vom Sehen, gesprochen hatten wir nicht viel miteinander. Dann fingen wir beide im Ufer (Anmerkung: Neues Ufer, Szene Café) an zu arbeiten.
MARTIN: Darüber haben wir uns neu … anders …kennengelernt. Aber wie es dazu kam… wer hat damals eigentlich wen gefragt???
ANDREAS P.: Keine Ahnung…??
ANDREAS S.: Im Tanzverein habe ich schon ganz früh, so in der 80ern – öfter mit anderen Männern getanzt, die auch gerade keine Tanzpartnerin hatten.
KERSTIN: Ach…???
MARTIN: Ja, das kannte ich auch.
ANDREAS P.: Na ja, aber doch nur, dass zwei Mädchen zusammen tanzen….?
ANDREAS S.: Es gab schon Mädels im Tanzverein, aber die waren mir alle nicht gut genug. Ich hatte dann zwischendrin mit irgendwelchen S-KlasseTänzern getanzt und das war natürlich toll. So hatte ich schon ganz früh beide Rollen gelernt. Das fand ich spannend. Meine Trainerin fragte mich dann auch: Willst Du nicht Tanztrainer werden? Das war aber zu teuer, da machten die Eltern nicht mit und ich habe dann erst mal was „Vernünftiges“ gelernt.
ANDREAS P.: Wir mussten im Turniersport auch die Frauenschritte lernen.
MARTIN: Ja, aber das war nicht offene Politik, sondern Du musstest sie wissen, um diese führen zu können.
ANDREAS S.: Ich habe im Turniertraining immer furchtbar darunter gelitten, wenn unser schwuler Lateintrainer uns anbrüllte, wir sollten mal ordentliche Männer darstellen. Ich war immer zu lasch, immer zu weiblich… das hatte mich so angenervt! Nicht dass ich als Frau tanzen wollte, mit Rock und Pumps, darum ging es mir gar nicht, aber ich fand dieses klassische Rollenverständnis ätzend. Wir haben uns damit geholfen, dass wir uns darüber lustig machten. Eigentlich habe ich die Turniere als Persiflage auf mich selbst getanzt. Als es dann los ging mit dem gleichgeschlechtlichen Tanzen habe ich dann tolle neue Möglichkeiten gesehen, die Rollen neu zu sehen und zu füllen: Da können zwei elfengleiche Wesen miteinander tanzen, zwei dominante, das kann während des Tanzens wechseln, die Rollen können vollkommen in einander übergehen und zerfließen. Das finde ich das Spannende an der ganzen Geschichte… Natürlich haben auch die gleichgeschlechtliche Tanzpaare das Recht, eine klassische Rollenverteilung zu tanzen. Das ist auch vollkommen in Ordnung.
MARTIN: Da können sich vollkommen neue Trends entwickeln. Vielleicht geht es im Augenblick in eine Richtung, die man schon kennt, aber da kann sich ja noch mehr entwickeln. Auch die Maßstäbe müssen sich dann aber mit entwickeln.
SIMONE: Und 1995 war dann das erste gleichgeschlechtliche Tanzturnier?
MARTIN: Ja, mit den Eurogames in Frankfurt 1995 fing es an. Das war so ein richtig schräges Turnier, so mit Fummel.
ANDREAS S.: Für mich war Berlin 1996 das erste und einzige Turnier. Mein Freund Dicki, der im Schwulensport aktiv war, meinte: „Du, in Berlin auf den Eurogames da können wir Turnier tanzen, wollen wir das machen?“. Dicki hatte auch schon in Bonn getanzt – Formation –, darüber kannten wir uns –. Das war sehr toll für uns: Nach vielen, vielen, vielen Jahren (nach 14!! Jahren) war es das erste Mal, dass zwei Männer zusammen tanzen konnten – öffentlich. Und wir haben uns gesagt: Das machen wir jetzt noch das eine Mal. Wir sind dann zu C&A und haben uns eingekleidet. Wir hatten jeweils einen Dreiteiler an, Dicki in Silber und ich in Gold . So aus Lammée – hat gekocht wie verrückt. Und auf Kopf hatten wir…
MARTIN: Dann weiß ich, wer Ihr wart..!
ANDREAS S.: …ja, die zwei Tunten mit den Schleifen im Haar. (Lachen) Wir sind ja auch viel als Tunten aufgetreten. Und wir haben uns einen Mordsspaß daraus gemacht, dass, was wir in dunklen Schwulenschuppen in den 80ern gemacht haben, jetzt mal öffentlich zu zeigen. Das fanden wir super!! Aber damit es war dann auch gut. Wir haben diese neue Art zu Tanzen eher genutzt, um unser Tanzen abzuschließen. Wir waren uns einig, dass wir beide nicht gegen andere tanzen wollten.
SIMONE: Es gab also von Anfang an keine Kleidervorschrift?
ANDREAS S.: Nein, die gab es nicht. Wir konnten endlich unsere eigenen Züge ausleben, das war schon toll! Diese Hosen waren so weite Marlene-Hosen, das war ja schon fast wie ein Rock – für uns eine Offenbarung! Was ich total gruselig fand, war, dass ganz viele Paare furchtbar steif auf die Fläche gingen – so mit Anzug und Krawatte. Die sahen einfach nur bieder und brav aus.
MARTIN: Ja, das waren wir. (Lachen) Wir hatten was ganz Normales an, also Standard-Frack-Kombination, aber ohne Jacke. Und in Latein Hose und Hemd.
ANDREAS P.: Ich dachte eigentlich auch, dass es schräger sein müsste. Es gab zwar ein paar Männer im Damen-Turnierkleid, aber nur ganz vereinzelte. Ich hatte mit …bestimmt der Hälfte in Kleidern gerechnet. Also, dass das so mehr ein Fasching – also eine queere Faschingveranstaltung – sein würde.
ANDREAS S.: Ich glaube wir waren die einzigen Drags.
ANDREAS P.: Vielleicht waren es zwei Paare …zwei ein Halb. Aber so ein bisschen enttäuscht war ich schon. Es war eigentlich so ein bisschen angepasst – ein bisschen zu sehr angepasst.
MARTIN: Wir haben in der Tat nicht dazu beigetragen, dass es bunter wurde. Mir war das auch egal, mir ging es ums Tanzen.
ANDREAS P.: Man hat auf jeden Fall gesehen, dass alle was mit Tanzen zu tun hatten, schon allein an den Tanzschuhen und so.
MARTIN: Ja, und es war auch ein Unterschied in den Klassen zu erkennen. Die sich in die AnfängerInnen-Klassen eingeteilt hatten, kamen in Jeans – halt locker. Die anderen kamen mehr professionell. Da hat man gleich gemerkt: Die wollen was – so wie wir.
KERSTIN: Ihr wolltet was?
MARTIN: Ja, wir wollten schon erfolgreich sein. Und die Klamotten haben wir auch dazu benutzt. Wir wussten ja, worauf es ankam.
ANDREAS P.: Mit nicht so viel Einsatz allerdings, das muss man zugeben. Mit Mut zur Lücke.
MARTIN: Ja, wir hatten das so geplant, dass wir mit wenig Training viel erreichen – und das hat auch geklappt.
KERSTIN: Wo habt Ihr eigentlich trainiert?
MARTIN: Wir haben am Steglitzer Kreisel (Anmerkung: im Tanzsportverein Blau-Weiß) trainiert. Ich hatte damals noch einen Trainingsschlüssel.
ANDREAS P.: Ja, und wir sind immer Sonntag abends oder morgens hin, weil wir wussten, dass dann keiner da war. Das war ja illegal.
KERSTIN: Wie oft habt Ihr denn trainiert? Regelmäßig?
MARTIN: Nein, immer sehr zielgerichtet… so einen Monat vorher…
ANDREAS P.: …oder auch sechs Wochen vorher. Das geht aber nur, wenn man seit Kindesbeinen an tanzt. Da bringt man doch eine Menge mit.
MARTIN: Ab 2000 wurde das dann einfacher, da sind wir ins Maxixe (Anmerkung: Tanzschule, in der Martin seit 2000 unterrichtet) zum Trainieren gegangen. In den ersten Jahren hab ich auch hin und wieder Paare trainiert.
SIMONE: Habt Ihr denn selber auch TrainerInnen gehabt?
MARTIN: Nein, niemals.
ANDREAS P.: Das war bei uns so, dass ich mehr aus der Standard-Ecke kam, und Martin mehr vom Latein. Und so haben wir uns die Aufgaben geteilt.
MARTIN: Du hatst die Standardfolgen gemacht und ich die Lateinfolgen. Die haben wir uns dann gegenseitig beigebracht.
SIMONE: Gab es denn TrainerInnen, die offen waren für gleichgeschlechtliche Paare?
MARTIN: Ja, ich habe mal eine Trainerin gefragt, die fand das ganz spannend. Die hätte das schon gemacht.
ANDREAS P.: Aber wenn man bereits die ersten Medaillen hat, dann sagt man sich, brauch ich jetzt auch nicht mehr.
KERSTIN: Ich meine, es gab für einige TänzerInnen, die Equality getanzt oder gewertet haben, Ärger im DTV-Bereich. Habt Ihr das erlebt?
MARTIN: Mir ist das nicht wiederfahren.
ANDREAS P.: Ich war eh schon nicht mehr dabei. Aber die EiskunstläuferInnen, die wurden gesperrt. Als damals in Amsterdam die GayGames (Anmerkung: 1998) stattfanden, wurde das Event für die EiskunstläuferInnen abgesagt, weil alle, die professionell starteten, für den Verband gesperrt werden sollten. In diesem Zuge kam die Diskussion auf, ob dasselbe den TänzerInnen auch wiederfahren könnte. Beim Tanzen selbst haben wir aber nichts mitbekommen.
KERSTIN: Und hattest Du Bedenken, dass das gleichgeschlechtliche Tanzen negative Auswirkungen auf Dein „anderes“ – das gemischtgeschlechtliche – Tanzen haben könnte? Oder einfach, dass Dich jemand sieht und erkennt?
MARTIN: Das war mir eigentlich egal. Ich war schon so lange in der Tanzszene drin, dass ich mir dachte, wenn es sie jetzt stört, dann soll es sie stören.
ANDREAS P.: Es haben sich ja auch immer mehr geoutet – TänzerInnen, TrainerInnen und WertungsrichterInnen.
MARTIN: Das Equality-Tanzen hat unter anderem immer mehr zu einem Outing geführt. Das fing mit den Turnieren an.
ANDREAS P.: Wobei man nicht immer automatisch wusste, ob die jetzt gay-friendly oder schwul/lesbisch sind. Aber man hat sich schon manchmal gewundert: „Ach der hier? Was macht der denn hier?“ und „Wo ist denn die Frau, die immer dabei ist?“
KERSTIN: Wart Ihr außerhalb der Turniere denn auch auf queeren Tanzevents unterwegs?
ANDREAS P.: Wir sind hin und wieder ins SO (Anmerkung: SO 36, Café Fatal) gegangen. Da haben wir die ersten Male… ach weißt Du was, jetzt weiß ich, wie es dazu kam… wir haben uns da beim Tanzen getroffen.
MARTIN: Ja, da haben wir definitiv das erste Mal das Tanzbein gemeinsam geschwungen. Da werden wir beschlossen haben: Lass uns das mal machen – mit dem Turnier.
ANDREAS P.: Ja, das Café Fatal gibt es schon so lange. Voll war das damals …
MARTIN: …und das Niveau war ein anderes.
ANDREAS S.: Als ich nach Berlin kam, bin ich erstmal ins Taktlos gegangen – zu „Mann Tanzt“. So wurde dann aus meiner Trainerlaufbahn doch noch etwas: Ich habe zunächst assistiert und als Ele (Anmerkung: Ele Busch) das Maxixe gründete, war ich dann als Tanzlehrer dabei. Wir waren zu dieser Zeit dann eigentlich nur mit Männerbällen beschäftigt – und Auftritten auf Männerbällen. Wir hatten gar keine Zeit fürs Turniertanzen.
ANDREAS P.: Nachdem meine Tanzkarriere mit Martin zu Ende war, habe ich in den letzten Jahren mit meinem Freund Ralf , der auch Tänzer war, an zwei oder drei Turnieren teilgenommen in Kopenhagen und in Antwerpen. Da ist mir aufgefallen, dass das Niveau ein anderes geworden ist. Mit dem, was einen damals in die A-Klasse gebracht hat, würde man heute eher in der B-Klasse tanzen. Damit einher kam auch der Druck –nein eher die Verbissenheit, mit der die TänzerInnen dann plötzlich unterwegs waren. Das hat mich total angekotzt, weil, das kannte ich von damals. In meiner aktiven Turnierzeit im gemischtgeschlechtlichen Bereich lief das so: Man kam erst mal in die Garderobe und guckte, wer ist da. Mit dem sprach man nicht, weil der in einem andern Club tanzte. Zu dem im eigenen Club sagte man „Hallo“, hier nur ein Nicken, und die TänzerInnen des nächsten Clubs werden gedisst. „Was hat die denn für eine Klamotte an?“, „Guck Dir mal die Haare an…“ und so weiter. Halt Zickenterror. Und weil ich das so viele Jahre gemacht hatte, hatte ich echt genug davon. Und auf den letzten Turnieren waren wir dann ohne Club dort – und dann redet auch keiner mit Dir. Dann wird auch nicht für alle geklatscht und gejubelt, sondern nur noch für die Paare für die das club-politisch erlaubt ist.
MARTIN: Diese Stimmung wird eigentlich viel von den TrainerInnen gemacht – und von den Clubs. Da wird dann geringschätzig von andern TrainerInnen gesprochen – von einem anderen Paar.
ANDREAS P.: Genau: „Sieht sie wieder fett aus!“, „Wann lernt die endlich, dass sie rosa nicht tragen darf!“, „So langsam wie die tanzt, wird sie immer nur sechs cm tragen können!“. So war das. Dann hat man sich die Videos angeguckt …!
MARTIN: ….und dann ging das los. Dann wurde über Leder gezogen.
ANDREAS P.: Vielleicht braucht man das, um den Biss zu haben, jemand unbedingt schlagen zu wollen…???
ANDREAS P.: Na ja. Mit meinem Freund habe ich da zwei, drei Mal mit gemacht, aber der Spaßfaktor war uns abhanden gekommen.
MARTIN: Aber wir beide hatten eine schöne Zeit gemeinsam. Zu unserer Zeit gab es das nicht.
ANDREAS P.: Wir hatten die Empfindung, dass viele, die im gemischtgeschlechtlichen Tanzen so mittelmäßigen Erfolg hatten, nun hier versuchten, noch mal echt auftrumpfen zu können. Als wir anfingen zu tanzen, konntest Du sicher sein konntest, dass die Männer schwul und die Frauen lesbisch sind. Später war das schon gemischter. Da haben dann gute TänzerInnen aus dem gemischtgeschlechtlichen Bereich sich eine/einen Tanzpartner gesucht, um mal eben dort eine Medaille abzugreifen. Das wirkt so abgekartet.
KERSTIN: Aber ist das direkt von der sexuellen Orientierung abhängig? Für mich hängt das eher an dem queeren Rollenverständnis.
MARTIN: Nein sicher nicht, wir wollen ja auch aus dem DTV-Tanzbereich keine Schwulen und Lesben heraushalten. Aber vielleicht kann man die Besonderheit des Equality-Tanzes dadurch herausstreichen, dass in jedem Tanz der Rollentausch obligatorisch eingeführt wird.
SIMONE: Wie habt Ihr das den damals gemacht?
ANDREAS P.: Wir haben das damals je nach Tanz geregelt. Martin hat gesagt: „Tango führe ich“ und ich hatte mehr Bock Wiener Walzer zu führen. Ich wollte auch mal einen Kick machen…
MARTIN: …und ich wollte auch mal ein bisschen zwirbeln…
KERSTIN: War Frankfurt etwas Besonderes, etwas Tolles für Euch, die Ihr schon so viele Turniere kanntet?
MARTIN: Aufregend war es!
ANDREAS P.: Wobei ich mich mehr an Berlin erinnere. Das war größer und professioneller. Das Hotel mit Ballsaal war schon ein etwas anderer Rahmen als die Mehrzweckhalle in Frankfurt.
Martin: Auch wenn das Regelwerk eigentümlich war…
ANDREAS P.: Ja, und In Berlin gab es ja diesen besonderen Ansatz von Christoph (Anmerkung: Neumann, Gründer der Tanzschule bebop, dieser hatte die Regeln für die EuroGames Berlin entwickelt)…
MARTIN: Ja, die Musik war daneben, die Tänze waren verkehrt (Anmerkung: es gab Argentino statt europäischen Tango und Salsa statt Samba)…
ANDREAS S.: …und die Tempi waren verkehrt.
ANDREAS P.: Und bei den Wertungsrichtern war das so, dass MusikerInnen, Aerobic-LehrerInnen, GeigerInnen, TurmspringerInnen gewertet haben – aber keine professionellen TänzerInnen. Und wisst Ihr noch der Trapezkünstler…
MARTIN: Auf jeden Fall war es so, dass dort Menschen gewertet haben, die nach heutigen Maßstäben dazu fachlich nicht geeignet gewesen wären. Das war aber nur in Berlin so. In Frankfurt gab es professionelle WertungsrichterInnen. Ach, und nicht zu vergessen: In den Turnieren standen ja anfangs noch Frauen- und Männerpaare gleichzeitig auf der Fläche. Das war am Anfang noch so.
ANDREAS P.: Aber in Amsterdam wurde dann schon getrennt getanzt. Wobei ich mich frage, ob die Frauen wirklich immer nur verlieren würden, wenn Frauen- gegen Männerpaare antreten würden. Das wird ja mit der Trennung unterstellt.
MARTIN: Das wurde damals halt beobachtet. In dem A-Finale waren nur Männerpaare. Hintergrund war sicherlich, dass die Männer aus dem gemischtgeschlechtlichen Tanzsport kamen mit jahrelanger Ausbildung. Die hatten natürlich einen Vorteil gegenüber den Frauenpaaren, die erst vor 2 bis 3 Jahren angefangen hatten, überhaupt zu tanzen. Dazu kommt noch der Größenunterschied, mit dem Männer die Frauen auf der Fläche einfach „verdrängen“. Nachdem die Männer- und Frauenpaare getrennt wurden, gab es dann halt häufig keine A-Klasse bei den Frauen. Tut man den Frauen damit einen Gefallen…?
ANDREAS S.: Die Klassen hießen doch auch bewusst nicht A-Klasse und so, sondern anders. Es gab schon die Sichtungsrunden, aber dann hieß das doch …“Profis“ und…???
MARTIN: Ja, wie die anderen Klasen hießen, weiß ich nicht mehr, aber wir haben bei den Profis getanzt.
ANDREAS S.: Und konnte man nicht auch nur einzelne Tänze tanzen?
MARTIN: Stimmt, man meldete sich für jeden Tanz einzeln an.
ANDREAS S.: Das war was für die, die Orden lieben… Dadurch, dass einzeln gewertet wurde, und wir in neun Tänzen starteten, sind wir mit neun solchen Dingern nach Hause gekommen.
MARTIN: Und dann gab es eine over-all Wertung über jeweils alle Standard- und alle Latein-Tänze sowie 10-Tänze.
KERSTIN: Und wie ist es Euch mit dem Tanzen und mit den WertungsrichterInnen ergangen?
ANDREAS P.: Wir haben immer 10 Tänze getanzt. Es hat immer gereicht, in dem einen den 2., im anderen den 4. Platz zu machen. Die 10 Tänze haben wir damit gewonnen. Es gab ja nicht so viele, die 10 Tänze tanzten. In Frankfurt haben wir Latein gewonnen, in Standard war es der 2. oder 3. Platz – und somit war es in 10 Tänze der 1. Platz.
MARTIN: In Berlin haben wir sogar auch Latein auch gewonnen aber nur sehr knapp mit dem Jive. Das absolute Highlight war für uns jedoch Amsterdam. Hier hatten wir war zwar auch eine Mehrzweckhalle mit zwei Tanzflächen, die zum Finale zusammengefasst wurden – und einem riesigen Kronleuchter. Da wehte dann aber schon ein anderer Wind. Da kamen Tanzpaare aus aller Welt …da war schon der eine oder andere sehr zackige Tango zu sehen…
MARTIN: Dann denkt man sich: „Vier Wochen Training war dann vielleicht doch etwas kurz.“
ANDREAS P.: Aber im Finale waren wir trotzdem. (grinst)
MARTIN: Aber mit der Zeit wurde es immer schwieriger. Wenn man sich fragt „Ob wir das nächste Mal wohl wieder ins Finale kommen?“ dann wird das mit der Motivation zum Trainieren schon schwierig.
ANDREAS P.: Bei mir kam dazu, dass wir gegen alte Konkurrenten (aus dem gemischtgeschlechtlichen Bereich) tanzen mussten. In Berlin war das öfters der Fall. Darauf hatte ich keine Lust, das war für mich zu sehr Back-flash. Das wollte ich nicht zurück. Das war eine Zeit, in der Du zu den sechs Tagen Training die Woche noch immer einen drauf legen musstest, um (Anmerkung: in der S-Klasse) mithalten zu können.
MARTIN: Und um am Ende nichts zu erreichen. Aufsteigen aus der S-Klasse geht nicht mehr, und es sind immer dieselben Paare, an denen man nicht vorbei kommt. Da wird das schon schwierig mit der Motivation. Und das entwickelte sich dann hier auch so, dass mit demselben Aufwand immer weniger erreicht wurde, weil immer mehr bessere Paare nach kamen.
ANDREAS P.: Man hätte halt wesentlich mehr investieren müssen, um mithalten zu können. Mit meinem späteren Partner hätten wir schon allein in die Kleidung investieren müssen – in den Frack z. B. Auch hatte ich die Empfindung, dass es auf der Tanzfläche ruppiger zuging. Wir waren jetzt eher in der B-Klasse unterwegs und wurden von A-Klasse-Paaren angerempelt. So ein Verhalten, wie damals auf dem Turniersport – gegeneinander statt miteinander. Da könnte ich dann sofort gehen, noch bevor es angefangen hat.
KERSTIN: Ich erinnere mich, dass es im Maxixe damals (Anmerkung: 1998) nicht nur kein Problem war, mit einer Frau zu tanzen, sondern auch wirklich begrüßt wurde. Das fand ich sehr schön. War das damals eine explizite Entscheidung?
MARTIN: Andere Tanzschulen haben das mehr unterstützt, und extra Angebote für z.B. Männerpaare angeboten (Anmerkung: wie „Mann tanzt“ im taktlos und später pinkballroom) – oder sind mehr auf den Trend aufgesprungen. Im Maxixe war es die – bewusste Entscheidung, alles Tanzen integrativ zu ermöglichen – und dazu gehört auch das gleichgeschlechtliche Tanzen.
KERSTIN: Was hat es Euch bedeutet, gleichgeschlechtlich zu tanzen?
ANDREAS P.: Wenn Du den politischen-gesellschaftlichen Aspekt meinst? Dann ehrlich gesagt gar nichts. Für mich war das Spaß.
MARTIN: Doch, für mich war es eine Herausforderung, auch mal etwas anderes zu erleben. Das war nicht nur Fun, sondern ich wollte auch eine Veränderung empfinden: Wie fühlt sich das an? Auch ein bisschen entspannter heran zu gehen, war wichtig. Aber es war eine gewisse Hemmung. Ich hab das vorhin so geschildert, als sei es unproblematisch gewesen, aber ich musste mir schon erst mal klar werden: Tust Du den Schritt wirklich? Auch mit allen Konsequenzen. Wenn es dann Schwierigkeiten gibt, soll es so sein. Das war schon eine sehr bewusste Entscheidung. Wenn nicht jetzt, wann dann?
KERSTIN: Wenn es zu Schwierigkeiten gekommen wäre, welches Tanzen hättest Du dann an den Nagel gehängt?
MARTIN: Erst mal mit Sicherheit das gleichgeschlechtliche Tanzen. Das gemischtgeschlechtliche Tanzen war das mit mehr Ernst betriebene – das Wichtigere. Das hatte eine größere tänzerische Qualität. Da hatten wir ja nicht erst einen Monat vor dem Turnier angefangen zu trainieren.
SIMONE: Ihr habt ja anfangs lange mit Frauen getanzt. War das dann anders – auch angenehmer – mit einem Mann zu tanzen?
ANDREAS P.: Auf damals gemünzt: Ich wusste ja schon mit 12/13, dass ich schwul bin. Von daher war die körperliche Nähe, mit einer Frau zu tanzen, nichts Komisches. Dann mit Martin… Wir kannten uns ja schon eine ganze Weile, von daher fand ich es nicht so schlimm. Aber Tanzen ist ja schon recht intim, körperlich, vor allem Standard. Wahrscheinlich war es das, was normalerweise Heteros empfinden. Da würde ich mich als Frau auch fragen, nicht, dass der nachher einen Steifen kriegt.
MARTIN: Im Tango, bei der Linkskurve. (Lachen)
ANDREAS P.: Man denkt nicht in dem Sinne nach. Es war auch nichts Sexuelles, aber mit Mädels war das halt total entspannt.
MARTIN: Hmm, wenn ich darüber nachdenke: Für mich war die körperliche Nähe zu einer Frau nicht so angenehm… Der Unterschied ist aber auch das Verhältnis der Körper. Viele Figuren im Tanzen sind vielleicht nicht dafür gemacht, dass sich zwei Menschen auf Augenhöhe begegnen. Das ist mir, als wir tanzten, aufgefallen. Ich bin im Latein sicher keine so leichte Dame gewesen.
ANDREAS P.: Aber 100mal schneller als ich.
SIMONE: Wie war das denn damals im gemischtgeschlechtlichen Bereich: Wusstet Ihr, wer schwul, wer lesbisch war?
MARTIN: In meinem Umfeld war das bekannt, dass ich schwul bin.
ANDREAS P.: Die ganzen Tänzer sehen doch eh schwul aus. Du verkaufst zwar den heterosexuellen Macho, aber eigentlich denkst Du doch bei allen, dass sie schwul sind. Vielleicht war das Wunschdenken… Na ja, es gibt auch Ehepaare…
MARTIN: Im gemischtgeschlechtlichen Bereich sind die „Schrank“-Schwulen absolut in der Mehrheit. Ganz lange hast Du gar nichts mit bekommen. Und plötzlich, ich glaub, da hat das gleichgeschlechtliche Tanzen tatsächlich was bewegt, war es klar …und die Schranktür offen.
KERSTIN: Gab es viel Austausch mit der schwul-lesbischen Szene? Gab es viel Szene Publikum.
MARTIN: Für uns war klar, dass das Publikum Szene war – und nicht nur gay-friendly. Es war schon klar, wir wollen für uns einen Event haben. Mir fiel das schwer, mir vor zu stellen, dass auch Hetero-Männer oder Hetero-Frauen da mit tanzen. Wenn Du es doch auch anders haben kannst.
ANDREAS P.: Bei den großen Events sind auch die SportlerInnen aus den anderen Sportarten vorbeigekommen, um zu gucken. Tanzen ist ja im Vergleich zu anderen Sportarten anders – als beim 100 Meter – Laufen zum Beispiel, da sieht man ja nicht den Unterschied: ist der Läufer nun schwul oder Hetero?! Und das ist beim Tanzen anders. Das ist halt queer.
MARTIN: Auch ein bisschen drag.
ANDREAS P.: Als ich jetzt vor wenigen Jahren mit meinem Freund getanzt habe, war das anders. Da waren viele, die aus dem Hetero-Tanzen kommen, die ich kannte. Die kamen dann mit den Eltern und so. Da kommst Du Dir dann schon wie ein Affe im Zoo vor. Kann aber auch an mir gelegen haben…so ein Zwangs-Outing plötzlich…
MARTIN: Du hast ja recht jung mit dem Tanzen aufgehöhrt. Mein Outing war auch erst im Alter von 19.
KERSTIN: Gibt es aus den Anfängen des Equality Tanzsports Punkte, die Ihr Euch heute bei den Turnieren zurück wünschen würdet?
ANDREAS P.: Ja, die Entspanntheit… (Nicken der anderen)
KERSTIN: Danke für das spannende Gespräch!
ANDREAS S.: Ach, gerne doch, das war auch eine ganz neue Erfahrung: Mein erste Auftritt als Zeitzeuge!
ANDREAS P.: Sagt mal: Wollen wir dieses Jahr mal wieder zum Blauen Band wieder gehen?
ANDREAS S.: Zum Tanzen gucken? Immer!
ANDREAS P.: Und zum Lästern, natürlich…(grinst)