Caught in the gender trap, Beitrag von Jan Himme

Wir veröffentlichen hier nachfolgenden Beitrag von Jan Himme. Gerne bieten wir mit pinkballroom.de ein Forum für weitere Diskussionsbeiträge. Vor allem möchten wir aber anregen, das Thema im Sportausschuss zu thematisieren bzw. auf dem Verbandstag des DVET im Rahmen der Deutschen Meisterschaft anzusprechen.

Am Samstag, dem 15. Februar 2020 haben Henri Eisenhardt und ich auf dem Equality-Turnier „Pink Jukebox Trophy“ in der Sektion „Frauen“ in London getanzt. Wir trugen hierbei vorne und hinten auf unser Kleidung Aufschriften mit einem Gender-Diverstitäts-Symbol und Schriftzügen wie „I do not fit into any category“, „Goodbye Gender“ und „Embrace all identities“. Wir haben wunderbare, bestärkende und bestärkte Reaktionen erhalten, aber auch einzelne Fragezeichen. Warum haben wir das gemacht, und was wollten wir damit erreichen?

Wir wollten mit dieser Aktion die auch im Equality-Tanzsport unhinterfragte Einteilung der Tanzenden in zwei Geschlechter, nämlich in „Frauen“ und „Männer“, in Frage stellen. Inter*, trans*, nicht-binäre und andere Menschen, die sich, wie Henri und ich, in den Kategorien „Frau“ und „Mann“ nicht hinreichend wiederfinden können oder wollen, haben nach wie vor auch im queercommunitybasierten Equalitytanzsport keinen sichtbaren und anerkannten Platz. Für viele meiner tanzbegeisterten queeren Freund*innen ein Grund, gar nicht erst im Vereinstanzsport anzukommen.

Equalitytanzen sollte jede Person willkommen heißen, unabhängig von ihrer etwaigen Geschlechtsidentität, ihrer sexuellen Orientierung, der ethnischen oder sozialen Herkunft, ihrem Alter, ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit, ihrem Aussehen oder anderen Merkmalen. Es sollte insbesondere allen, die sich der sogenannten Queer-Community angehörig oder verbunden fühlen, einen möglichst sicheren Raum bieten. Meiner Ansicht nach bedeutet dies auch eine aktive Positionierung für die Anerkennung von Personen, welche einer Zuordnung zu einer der zwei binären Geschlechterkategorien „Frau“ und „Mann“ nicht entsprechen können oder wollen.

Es kann nicht oft genug deutlich gemacht werden, dass Menschen, die nicht in das binäre „Frau-Mann-Schema“ passen und sich dahingehend outen, dies nicht aus Trendgründen tun. Menschen mit Gendernonkonformität müssen sich tagtäglich entscheiden, wie sie hiermit umgehen. Noch immer besteht jederzeit das Risiko von Diskriminierung am Arbeitsplatz, im öffentlichen Raum, innerhalb der Herkunftsfamilie oder sogar innerhalb des Freund*innenkreises. Viele aus der Tanzsport-Community kennen dies von ihrer sexuellen Orientierung, oder von anderen Diskriminierungsmerkmalen. Das ist kein Spaß. Menschen outen sich, weil sie sich wünschen, sie selbst sein zu können. Die ökonomischen, sozialen und psychischen Folgekosten eines solchen Outings stehen nicht im Verhältnis zu einem vermeintlich damit verbundenen Coolnessertrag.

Einige Menschen können, selbst wenn sie wollten, nicht die bestehenden Vorgaben erfüllen, welche es ihnen erlauben würde, als „Frau“ oder „Mann“ „durchzugehen“. Andere werden aufgrund ihrer äußeren Erscheinung nach „Frau“ oder „Mann“ eingeordnet, auch wenn sie sich nicht so empfinden. Dritte befinden sich in Transitionsprozessen, die nicht abgeschlossen sind oder deren Reiseziel unklar ist. Kurzum: Es gibt kein Geschlecht, welches sich am Äußeren eines Menschen ablesen ließe.

Im Deutschen Verband für Equality Tanzsport e.V. (DVET) und in der European Same Sex Dance Association (ESSDA) existiert bereits eine Art Diversitätsempfehlung im Hinblick auf Geschlecht. Nach dieser soll jede Person dort tanzen, wo sie sich am wohlsten fühlt. Ein sehr guter Start ist diese Regelung allemal: Für mich persönlich beispielsweise hat diese Regelung entscheidend dazu beigetragen, dass ich mich getraut habe, mich im Frühjahr 2019 innerhalb der Turniertanzszene mithilfe meiner Namensänderung zu outen. Leider ist diese Richtlinie nicht gut bekannt und schwer aufzufinden.

Auch das United Kindom Equality Dance Council (UKEDC) hatte wahrscheinlich eine begrüßenswerte Intention, als es im März 2019 eine dritte Geschlechterkategorie namens „non-binary“ in ihr Regelwerk einführte. Allerdings ist es nach den derzeitigen Turnierregeln verboten, Geschlechter im Tanzpaar zu mischen. Wenn man diese Regel ernst nimmt bedeutet dies, dass ich als eine Person, die sich am ehesten im „non-binary“ wiederfinden kann, nur mit einer anderen „non-binary“-Person tanzen darf. Für mich würde das bedeuten, dass ich spätestens nach meinem Outing nicht mehr mit meiner Tanzpartnerin tanzen dürfte.

Auf allen größeren Turnieren ist es nach wie vor notwendig, sich für die „Frauen“- oder für die „Männer“-Sektion zu entscheiden. Für inter*, trans*, nicht-binäre und andere Menschen, die nicht in die Kategorien „Frau“ und „Mann“ passen, ist die Anerkennung ihrer Geschlechtlichkeit gegebenenfalls von hoher persönlicher Bedeutung. Spätestens auf der Turnierfläche müssen sie sich aber in das Bild einer binären Geschlechtereinteilung einfügen und öffentlich (wieder) ein für sie nicht passendes Geschlecht repräsentieren.

Warum ist dies nötig? Wir sollten hinterfragen ob es einen echten guten Grund gibt, auf Kosten von Teilen der Queer-Community auf die Einteilung in „Frauen“- und „Männer“-Paare zu bestehen.

Ein häufig angebrachtes Argument ist die Annahme einer unfairen Konkurrenz zwischen „Frauen“- und „Männer“-Paaren. Bezogen wird sich hierbei entweder auf angenommene körperliche Vorteile oder auf Bewertungen von Wertungsrichter*innen, die das Tanzen von „Männern“ höher bewerten. Ja, beides passiert! Es passiert aber auch nicht weniger dadurch, dass „Frauen“ und „Männer“ getrennt starten. Wettbewerb an sich ist etwas, wo Menschen versuchen „gerechte“ Kriterien für ein inhärent unfaires Spiel aufzustellen. Indem wir mitmachen, erklären wir uns damit einverstanden. Und falls man trotzdem ein bisschen Fairness durch verschiedene Sektionen erreichen will. Warum dann nicht diskutieren, was gegebenenfalls viel stärker von Gewicht ist? Wie wäre es zum Beispiel damit, die Tanzenden entsprechend ihren zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten einzuteilen, Privatstunden zu nehmen? Oder Sektionen anhand der gemittelten Körpergröße zu definieren, nach Jahren der Tanzerfahrung, oder nach dem Rampensau-Faktor? Ganz ohne Augenzwinkern: Möglicherweise ist die Zeit gekommen, die Regeln des Wettbewerbs neu zu definieren.

Eine andere Sorge ist, dass der Equalitytanzsport an sich seine Existenzberechtigung gegenüber der World Dance Sport Federation (WDSF) und dem Deutschen Tanzsportverband (DTV) verlieren könnte, wenn die binären Geschlechterzuordnungen aufgelöst werden. WDSF und DTV sind traditionell stark heteronormativ aufgeladen und viele Equality-Paare werden sich dort in kurz- bis mittelfristiger Zukunft nicht wohl fühlen können. Die Bewertungsmaßstäbe werden sich, wenn überhaupt, nur zögerlich ent-gendern und es besteht die Gefahr, dass Equality-Paare in der Masse der Mainstream-Turnierpaare untergehen und herausgedrängt werden.

Beide Diskussionen sind meiner Ansicht nach wichtig, dürfen aber nicht auf dem Rücken von Personen ausgetragen werden, die dies nicht zu verantworten haben. Der Equality-Tanzsport müsste sich umgekehrt von der Selbstdefinition über die Referenz auf die binären Geschlechterzuschreibungen lösen. Demgegenüber müsste er seine eigentliche, ihn auszeichnende Intention schärfen, wie beispielsweise die Reduktion heteronormativer Bewertungsmaßstäbe. Idealerweise würde die Kategorie Geschlecht damit langfristig an Bedeutung verlieren beziehungsweise, in diverseren Spielarten als bisher, nur noch als das Erscheinen, was sie seit jeher ist: eine Inszenierung.

Dass dies nicht von selbst geschieht, sondern es weiterhin notwendig ist, sich hierfür aktiv einzusetzen, ist klar. Es würde bedeuten, sich noch einmal mehr für Vielfalt, Gleichbehandlung und gegen eine ungleiche Bewertung aufgrund von Geschlecht, hetero- oder nicht-heteronormativer Tanzperformance und aufgrund anderer Diskriminierungskategorien zu positionieren und dies zum Ausgangspunkt für die Turniere zu nehmen. Insgesamt könnte das Tanzen damit für alle Teilnehmenden vielfältiger, attraktiver und interessanter werden.

Henri und ich würden uns freuen, wenn die Equality-Tanzszene hierüber in einen konstruktiven Austausch miteinander kommt.

Vielen Dank für die Rückmeldungen für die Erstellung des Beitrages von Henri Eisenhardt, Petra Rostock und Antke Engel.

Jan Himme

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